Lebenskünstler*in sein

 

Alles soll wieder normal sein,

 

ich will mein altes Leben zurückhaben-

 

ja, es ist eine herausfordernde Zeit, Klima Krise, schwere Überschwemmungen in Neustadt Aisch und Westdeutschland. Die Coronakrise will einfach nicht aufhören, Experten diskutieren schon wieder über die vierte Welle. Echt schlimme Nachrichten non Stopp – was ich dann in mir spüre ist eine gewisse Müdigkeit, Angst, das könnte mir auch passieren, Überforderung und eine Genervtheit: ich will mein altes Leben zurück.  Nicht dauernd funktionieren und „performen“ müssen, mich mit Problemen abkämpfen müssen.

 

In so einem Moment sich mit Lebenskunst zu beschäftigen, ist gar nicht so einfach.

 

Schon im antiken Griechenland, die Wiege von Demokratie und Humanismus, schlugen sich Philosophen mit der Kunst zu Leben herum, Philosophen wie z. B. Wilhelm Schmid und viele andere, machen sich in vielen wertvollen Büchern Gedanken zu diesem Thema. Da gibt es Literaturschätze zu entdecken.

 

Was ist eigentlich Lebenskunst, wer ist ein*e Lebenskünstler*in?

 

Was machen diese Menschen anders als wir?

 

 

 

Leben ist das, was gerade passiert, wenn wir gerade damit beschäftigt sind, andere Pläne zu machen.   John Lennon

 

 

 

Es gibt viele Negativbeispiele. Menschen, die am Leben verzweifeln und verbittern, ein Bekannter, der zu mir sagte „das mit meinem Herzklappenfehler, vor 30 Jahren, da ist mir das Leben etwas schuldig geblieben“. Er ist nie darüber hinweggekommen. -So wie „das Leben schuldet mir etwas“.

 

Viktor Frankl hätte zu diesem Menschen gesagt: Es kommt nie und nimmer darauf an. was wir vom Leben zu erwarten haben, vielmehr lediglich darauf: was das Leben von uns erwartet.

 

Was sind die Feinde der Lebenskunst?

 

Die Humorlosen, die sich und ihr Leben über die Maßen ernst nehmen, und dadurch, es sich und anderen unendlich schwer machen. Die Menschenkinder, die sich lebenslang als Opfer fühlen, und aus dem Klagen nicht herauskommen, und die Mitbewohner unseres Planeten, die in einer Haltung der Selbstverständlichkeit leben: „ich habe ein Abo, ein Recht auf…“, „das ist doch klar, dass…“. Dieser oberflächliche Blickwinkel macht jede Lebenskunst zunichte.

 

„Na ja, das ist halt eine Blume“, „das ist halt ein Film“, „da hab ich halt `ne Freundin getroffen- nicht Besonderes“. Und schon wird aus dem Anblick einer schönen Blume oder einer kostbaren Begegnung, ein bedeutungsloses Nichts.

 

Die Selbstverständlichkeit lässt alles Schöne unsichtbar werden. Wir schalten unsere Sinne aus und bekommen einen großen Teil des Lebens nicht mehr mit: Das ist doch normal, dass wir fließend Wasser haben und kein Grund zur Freude!

 

 

 

Nicht was wir erleben, sondern wie wir empfinden, was wir erleben, macht unser Schicksal aus

 

Marie von Ebner- Eschenbach

 

 

 

Ich durfte vielen Menschen begegnen die mit einer chronischen Krankheit auf ihre Art Lebenskünstler*in sind. Von ihnen konnte ich Demut, Lebenskunst und Dankbarkeit lernen.

 

Menschen, die hinter der Behinderung das finden, was geht und möglich ist. Die hinter den Begrenzungen und Verboten, die Nischen und Möglichkeiten entdecken. Menschen die ein erfülltes Leben haben, inmitten von Entsagungen. Menschen, die mit humorvollen Augen, mir ein Lächeln zur Begrüßung schenken.

 

Wir brauchen einen Paradigmen Wechsel, einen Wechsel der inneren Haltung, den diese Menschen schon vollzogen haben: eine Veränderung der Perspektive auf das Leben, was wirklich wichtig ist.

 

Weg von unseren materialistischen blick auf die Welt:  Geld, Ansehen, Rollen und Aufgabenlisten, weg von Leistung und Erfolg hin zum Sein.

 

Einfach Mensch sein, leben dürfen ohne Bedingungen, (mein Leben ist nur lebenswert wenn…).

 

Wir wollen Forscher werden und unser Dasein ergründen und umarmen.

 

Wir verwandeln uns dann allmählich von einem „human- doing“ zu einem „human being“.

 

In unserer Gesellschaft werden wir oft reduziert auf das was wir tun, auf unseren Beruf, auf unseren Status, auf unsere Rolle.

 

Ein Freund der viel auf Reisen war sagte mir er war in Nigeria im Bus unterwegs, und hatte viele schöne Begegnungen. Das was er als erstes gefragt wurde, war „zu welcher Kirche gehörst du?“

 

Wir sind nicht nur unser Superhirn, mit den vielen tausenden von Gedanken täglich. Wir sind voller Gefühle und Empfindungen.

 

Wie wäre es, wenn wir sagen könnten „ich empfinde und spüre, also bin ich“.

 

Auch wenn wir als human being weiterhin aktiv bleiben, tun wir Dinge in einer anderen Haltung.

 

 

 

Ich durfte so viele Menschen kennenlernen,

 

Menschen, für die Erfolg, Reichtum und Macht keinerlei Bedeutung haben.

 

Einer erzählte mir, dass sein Keller überflutete, als er im Urlaub war, sein Nachbar rief ihn an und sagte: „dein Keller ist jetzt staubfrei“

 

Menschen, aus denen das Licht ihres Herzens, ihres inneren Selbst, hindurchscheint. Die ein Leben führen im „Hier und Jetzt“ und sich ein Fünkchen Humor, eine Brise Neugierde bewahren, das sind für mich wahre Lebenskünstler*innen.

 

 

 

Wie man ein Künstler wird

 

Lass Dich fallen.

 

Lerne Schlangen zu beobachten.

 

Pflanze unmögliche Gärten.

 

Lade jemand Gefährlichen zum Tee ein.

 

Mache kleine Zeichen, die "ja" sagen und verteile sie überall in Deinem Haus.

 

Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit.

 

Freue Dich auf Träume.

 

Weine bei Kinofilmen.

 

Schaukel so hoch Du kannst bei Mondlicht.

 

Pflege verschiedene Stimmungen.

 

Verweigere Dich, verantwortlich zu sein.

 

Tu es aus Liebe.

 

Mach eine Menge Nickerchen.

 

Gib Geld weiter. Mach es jetzt. Das Geld wird folgen.

 

Glaube an Zauberei. Lache eine Menge.

 

Bade im Mondlicht.

 

Träume wilde, phantasievolle Träume.

 

Zeichne auf die Wände. Lies jeden Tag.

 

Stell Dir vor, Du wärst verzaubert.

 

Kichere mit Kindern.

 

Höre alten Leuten zu. Öffne Dich. Tauche ein.

 

Sei frei. Preise Dich selbst.

 

Lass die Angst fallen.

 

Spiele mit allem. Unterhalte das Kind in Dir.

 

Du bist unschuldig. Baue eine Burg aus Decken.

 

Werde nass. Umarme Bäume. Schreibe Liebesbriefe.

 

Tanze so viel wie möglich.

 

von Joseph Beuys

 

 

 

In dem Gedicht von Beuys geht es um Sein,

 

keine Rolle mehr spielen müssen, nicht gut dastehen müssen. Es geht um intensives Spüren, waches Bewusstsein mit allen Sinnen mein Leben ergreifen, „Carpe diem“ in seiner ursprünglichen Bedeutung. Nicht möglichst viel in den Tag hineinstopfen, um möglichst viel zu erledigen. Sondern das Leben ergreifen, umarmen. Hingabe an das Leben, eintauchen in jeden einzelnen Moment, egal ob wir Bäume umarmen oder unmögliche Balkonkästen pflanzen.

 

 

 

In der Zeitung „die Zeit“ finden wir eine Rubrik „was mein Leben reicher macht“.

 

Hier teilen Lebenskünstler*innen mit den Lesern der Zeitung, für was sie dankbar sind, wie und auf welche Weise das Leben kostbar für sie ist, wie intensiv sie bestimmte Erlebnisse empfinden, sie teilen mit uns, was ihr Leben reicher macht.

 

Das ist eine Einladung an, uns auf die Suche zu begeben, sich in unserem Leben auf die Suche zu begeben: was macht mein Leben reicher? Was macht mein Leben kostbar? Welche Kleinigkeiten und Freuden habe ich bisher übersehen? Schreiben Sie uns was ihr Leben reicher macht!

 

„Mein Leben macht es reicher, wenn ich den Spatzen zuschauen kann, wie sie in einer Pfütze baden, tschilpen und zanken und sich über den Kopfsalat auf meiner Terrasse hermachen, den ich eigentlich heute Abend essen wollte“

 

Ich lade sie ein, Platz zu machen für die kleinen Wunder in ihrem Leben, ich lade sie ein, ihre eigene Version von der „Kunst zu leben“ zu entdecken, vielleicht schreiben sie sich selber ein Liebesbrief?

 

Ich lade sie ein, zu einem Sommer und Herbst voller verborgener Wunder!

 

Herzlichst ihre

 

Martina Dismond